Das Richtfest, ein alter Brauch
Rund um das Bauen finden sich einige Bräuche und Traditionen, die mit dem Spatenstich ihren Anfang nehmen, gefolgt von der Grundsteinlegung und schliesslich mit dem Richt- oder Aufrichtfest ein bedeutendes Etappenziel symbolisieren, das als Dank des Bauherren gegenüber den Bauarbeitern gilt.
Als äusseres Zeichen der Fertigstellung des Rohbaus wird auf dem First ein geschmücktes Tannenbäumchen befestigt. Ursprünglich wurden das Tannenbäumchen mit so vielen bunten - früher ausschliesslich roten - Glarnertüachli geschmückt wie Arbeiter am Bau beteiligt waren. Diese bekamen dann das Tüchlein geschenkt, in welchem ein Fünfliber eingeknüpft war. In früheren Zeiten war die offizielle Zeremonie von einem Weihspruch (auch Richtspruch) des Zimmermanns begleitet.
Sinn und Zweck dieses Brauchs ist es einerseits, dem Haus und dessen Bewohnern Glück und Wohlergehen zu wünschen und andererseits den Arbeitenden zu danken.
Speis und Trank
Der offiziellen Zeremonie folgt das Richtfest, zu welchem die Arbeitenden, die Handwerkenden, die Planenden und manchmal auch die Nachbarschaft von der Bauherrschaft eingeladen werden. Das Richtfest findet oftmals im Rohbau statt. Ein Imbiss und Getränke werden offeriert und die Teilnehmenden erhalten ein kleines Geschenk, beispielsweise Sackmesser. Die Ansprachen der Bauherrschaft und der Architekturschaffende Person sind in der Regel fachlich geprägt, haben gelegentlich aber auch einen humorvollen Anstrich.
Mittelalterliche Wurzeln
Das Richtfest hat seine Wurzeln in den mittelalterlichen Handwerkszünften, insbesondere bei den Zimmerleuten. Im Mittelalter war der Bau eines Hauses oder einer Scheune ein Gemeinschaftsprojekt, bei dem die Handwerkenden und Dorfbewohner zusammenarbeiteten.
Der Dachstuhl war ein entscheidender Meilenstein im Bauprozess, da er das Gebäude wetterfest machte und damit den Bau weitgehend abschloss. Sobald der Dachstuhl errichtet war, wurde dies als Erfolg gefeiert. Das Tannenbäumchen sollte das Haus ursprünglich vor Unglück und bösen Geistern schützen. Das Bäumchen symbolisierte auch Leben und Wachstum und sollte dem neuen Haus Glück bringen.
Liechtensteinische Tradition
Es gibt viele Belege, dass das Richtfest bei uns ein sehr alter Brauch ist. Ein schöner Brauch mit hoher Symbolkraft, den es zu erhalten gilt. Dem Buch «Brauchtum in Liechtenstein» ist zu entnehmen, dass Hofkaplan Johann Franz Fetz 1870 bei der Aufrichtung des Kirchendachs in Vaduz berichtete: «Diese gefahrenvolle Arbeit ging schnell und ohne Unfall vor sich. Als Anerkennung erhielten die Bauleute am 18. Juni einen reichlichen Aufrichttrunk aus dem fürstlichen Schlosskeller. Es war eine Lust, die freudigen Gesichter der Bauleute zu beobachten, wie sie sich in Reih und Glied ohne Kommando fügten. Vom Bauplatz aus bewegte sich nämlich unter Vortritt der Blechmusik der lange Zug der Arbeiter mit ihren Fähnlein und Handwerkszeichen durchs Dorf dem Schlosse zu. Es war ein lustiger gemütlicher Nachmittag und Abend. Manches rote Fähnlein unter Hut und Mütze wurde ins Quartier getragen».
Einer Notiz im «Volksblatt» von 1894 ist über das Aufrichtfest der Pfarrkirche Eschen zu entnehmen: «Die löbl. Gemeinde verabreichte am Abend den Arbeitern den üblichen Trunk, während welchem unter Mitwirkung des Sängerchores und der Blechmusik von Eschen eine sehr freudige Stimmung herrschte».